Pro und Contra: Keine russischen Leichtathleten bei Olympia? Das Doping-Leiden des Sports

von: | aktualisiert am: 23.06.2016
Das Doping-Leiden des Sports

Das Doping-Leiden des Sports – Foto: © jarma – fotolia.com

Der konsequente Kampf gegen Doping ist richtig! Aber deshalb alle Sportler eines Landes von Wettkämpfen und sogar von Olympia ausschließen? Ein zweischneidiges Schwert! Und mit Blick auf anerkannte Grundwerte nicht ganz unbedenklich! Ein Anlass für mich, meine Gedanken dazu zu äußern…

Doch zunächst kurz zu den Fakten: Der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) hat entschieden, die zuvor schon ausgesprochene Suspendierung des russischen Leichtathletik-Verbandes aufrecht zu erhalten. Gründe sind u.a. der nach Meinung der IAAF belegte Verdacht des systematischen Dopings in Russland bzw. einer nicht ausreichend ausgeprägten Anti-Doping-Infrastruktur und -Kultur. Damit wir hier nichts Falsches behaupten, geht es hier zum Text der Pressemitteilung der IAAF, wo jeder selbst nachlesen kann, was die IAAF bekannt gegeben hat.

Die Konsequenz ist, dass keine russischen Leichtathleten an den Olympischen Spielen 2016 teilnehmen können oder könnten. Sicher ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Man kann davon ausgehen, dass der russische Verband Rechtsmittel einlegen wird, wie einzelne Sportler vielleicht auch. Angekündigt wurde das schon.

Hier wird auch die Krux an der Entscheidung deutlich, wie die Übermacht der Verbände. Kann oder darf es eine Kollektivhaftung geben? Darf man Unschuldige kollektiv bestrafen, weil die Gefahr besteht, dass sie betrügen könnten oder Schuldige bereits betrogen haben?

Damit es keine Missverständnisse gibt – Teil 1: Grundsätzlich kann und darf ein Verband natürlich entscheiden, wen er bei seinen Wettkämpfen starten lässt und wen nicht.

In diesem Fall allerdings kommt noch eine weitere Komponente dazu. Es gibt keine Alternative! IAAF-Wettkämpfe und Olympische Spiele sind quasi eine Art „Allgemeingut“, sie haben national und international eine nicht anfechtbare Alleinstellung.

Ein Sportler, der sich von seinem Landesverband los sagt, warum auch immer austritt, hat keine Gelegenheit, an internationalen Wettkämpfen oder gar Olympischen Spielen teilzunehmen. Zumindest sind mir die Möglichkeiten nicht bekannt oder sie sind eine absolute Ausnahme. Solche Ausnahmen hat auch die IAAF nun für russische Sportler definiert, die nachweislich außerhalb des russischen Apparates trainieren und deshalb unter internationaler Doping-Kontrolle stehen.

Wenn also ein Sportler oder eine Sportlerin sich im Vorfeld vom russischen Verband wegen der Doping-Gerüchte oder tatsächlicher Praktiken abgewandt hätte, hätte er/sie auch nicht starten dürfen!

Damit es keine Missverständisse gibt – Teil 2: Ich bin gegen Doping und dafür, diesen stinkenden Sumpf auszutrocknen! Ich ärgere mich seit Jahren darüber, dass man nicht mehr weiß, welche Leistungen man anerkennen darf und welche nicht, weil sich hinterher heraus stellt, dass gedopt wurde. Die exemplarisch ärgerlichsten Beispiele gab es im Radsport, wie bei Lance Armstrong, der den Radsport über Jahre dominierte und dann nachträglich alle Erfolge seit 1998 aberkannt bekam (siehe Wikipedia). Inzwischen gibt es sogar Vermutungen über die leistungssteigernde Langzeitwirkung des Dopings, wodurch die zwischenzeitlich ausgesprochenen Sperren zwar nicht wirkungslos, aber auch nicht nachhaltig genug wären. Ich mag gar nicht weiter darüber nachdenken…

Ich begrüße also grundsätzlich, dass die Sportverbände sich konsequent im Kampf gegen Doping engagieren und dabei auch vor unpopulären Entscheidungen nicht zurück schrecken. Ich unterstelle außerdem einem renommierten Verband wie der IAAF, dass sich die Beteiligten eine solche Entscheidung nicht leicht gemacht und diese sorgfältig abgewogen haben.

Andererseits widerspricht es meinem Rechtsverständnis, (fast) ausnahmslos alle Sportler in eine Kollektivhaftung zu nehmen für jene, die die Regeln nicht einhalten und erst recht nicht für einen Staat oder einen Verband, der vermeintlich oder tatsächlich systematisch unerlaubte Mittel einsetzt. Ob das so ist oder nicht, kann ich nicht einschätzen und selbst wenn es so wäre, liegt darin noch nicht der Beweis, dass der Sportler XY tatsächlich gedopt hat.

Richtig finde ich eine Entscheidung, die Sportler A-Z zu sperren, weil sie entweder gedopt haben oder weil sie sich der Kontrolle durch internationale Doping-Kontrolleure entzogen oder wenn sie sonst gegen die Statuten und Regeln verstoßen haben. Das Gleiche gilt für Funktionäre, Trainer und Betreuer, die von der eingangs erwähnten Suspendierung ebenso betroffen sind. Die Sportverbände haben das entsprechende Regelwerk dafür und wenn sie konkrete Beweise haben, sollen sie entsprechend handeln – auch wenn es sicher eine Menge Arbeit macht, dutzende oder gar hunderte von Fällen einzeln zu untersuchen und zu bewerten!

Kann man aber einen einzelnen Sportler bestrafen, ohne ihm ein konkretes Vergehen zur Last zu legen? Und sicher sind wir uns darüber einig, dass eine Nicht-Teilnahme an den Olympischen Spielen zu den empfindlichsten Strafen gehört, die es für solche Sportler geben kann, für die die Spiele das beruflich Höchste sind.

In dubio pro reo! Im Zweifel immer für -und erst recht für den- Nicht-Angeklagten! Ist das nicht einer unserer grundlegendsten Werte, auf die wir uns in der westlichen Welt berufen (siehe Wikipedia)? Und ist nicht die Kollektivhaftung etwas, das wir in unserem Rechtssystem grundsätzlich ablehnen – also die Haftung des Einzelnen für fremde Schuld und ohne eigene Verantwortlichkeit (siehe Wikipedia)?

Kann es also eine Haftung des einzelnen russischen Sportlers dafür geben, dass andere Unrecht tun? Und wenn dann ein ganzer Verband in Haftung genommen wird, was für einen Verband als juristische Person geht, welchen Ausweg bietet man den einzelnen Sportler dann an? Ohne Verband kann ein Sportler schließlich international nicht starten (siehe oben).

Richtig fände ich es, wenn man nun alle russischen Leichtathleten auf deren Antrag bei den Olympischen Spielen starten ließe, denen man keine konkrete Verfehlungen oder Doping-Vergehen nachweisen kann. Dazu müsste man freilich die Kosten tragen, die internationale Gemeinschaft wie Verbände, Sportausrüster usw. müssten zusammenstehen und jene Sportler unterstützen.

Etwas ganz anderes ist es dann noch, ob diese Sportler sich das überhaupt leisten könnten, wirtschaftlich und gesellschaftlich, oder ob nicht die russische Seele so sehr verletzt ist, dass sich aus einem Start bei den Olympischen Spielen nach den Olympischen Spielen nicht andere Repressionen für den Sportler im eigenen Land ergäben. Deren Leben geht ja danach weiter und fast ausnahmslos alle Sportler sind auf die Unterstützung durch die Verbände und den Staat angewiesen. Schließlich will ganz bestimmt nicht jeder seiner Heimat den Rücken kehren und dafür darf er auch nicht von uns verurteilt werden.

Ist der gestrige Tag also ein Feiertag für den Sport, wie der Spiegel seinen Artikel zum Thema überschreibt? Ich finde, es ist nach z.B. den Boykotts der Olympischen Spiele 1980 und 1984 aus politischen Gründen einer der schwärzesten Tage im olympischen Sport, an die ich mich erinnern kann.

Wenn man dem russischen Leichtathletikverband Regelverstöße nachweisen kann, was ich der IAAF unterstelle nach dieser Entscheidung, ist die Suspendierung des Verbandes und seiner Funktionäre richtig! Den einzelnen Sportlern jedoch gehört ein Ausweg angeboten – und zwar nicht nur dann, wenn sie über genügend Geld oder Verbindungen verfügen, in den USA, in Monaco oder in Deutschland leben und trainieren zu können! Dieser Ausweg jedoch ist um vieles weiter, teurer, komplizierter und folgenreicher, als es hier beschrieben werden kann.

Und wenn es tatsächlich „Staatsdoping“ ist, müsste dann nicht die ganze russische Mannschaft von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden? Oder wer glaubt denn bitte, dass zwar in der Leichtathletik gedopt wird, in anderen Sportarten aber nicht?

Wenn also alle Sportler aus Russland gesperrt wären, sind oder bleiben, was folgt dann? Wie geht es weiter?

Es ist für den internationalen Sport auch an der Zeit, zentralistische Strukturen in Frage zu stellen und neue Organisationsformen zu finden, zuzulassen und zu fördern und damit zudem einer sich immer stärker individualisierenden Welt Rechnung zu tragen. Private, verbandsunabhängige Leistungszentren und Trainingsmöglichkeiten, die es ja längst gibt, sind so eine Form, die u.a. auch Auswege für Sportler im hier diskutierten Fall bieten würden…

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